Berufslexikon Spezial: Twin Transition: Berufe, die den grünen UND digitalen Wandel voranbringen

Die Twin Transition bezeichnet das Zusammenspiel der beiden gleichzeitig stattfindenden Megatrends Digitalisierung und *Dekarbonisierung, den *synergetischen Wandel in Richtung einer digitalen und nachhaltigen Gesellschaft. Berufe in dieser Schnittmenge verändern unsere Welt doppelt.

Wie Digitales und Nachhaltigkeit zusammenspielen

Digitale Technologien haben bereits radikal verändert, wie wir kommunizieren, arbeiten, konsumieren und uns informieren. Die digitale Netzinfrastruktur, verschiedene Endgeräte, *eingebettete Systeme, Dienste und Funktionen bilden die Basis, auf der Unternehmen neue Geschäftsmodelle entwickeln, Wertschöpfungsketten optimieren, Maschinen und Geräte miteinander vernetzen, mit GeschäftspartnerInnen zusammenarbeiten und mit KundInnen interagieren. Gleichzeitig zum digitalen Wandel vollzieht sich ein grüner: Die übergeordneten Ziele in Europa sind es, in 25 Jahren *klimaneutral zu sein, in 5 Jahren die Treibausgasemissionen um mindestens 55 % (gegenüber 1990) zu senken. Ein wichtiger Hebel, um die Umgestaltung der Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft – von der Energie- und Mobilitätswende über nachhaltige Gebäude bis hin Etablierung einer kreislauffähigen Wirtschaft – zu erreichen, sind digitale Technologien. Gleichzeitig sollen die digitalen Tools selbst nachhaltiger werden. So ergibt sich das Zusammenspiel aus digitalen Instrumenten und dem Gestaltungsrahmen für mehr Nachhaltigkeit.

Vereinfacht gesagt ermöglichen digitale Technologien den grünen Wandel und die Nachhaltigkeitstransformation gestaltet wiederum die digitale.

Scheinwerfer auf grüne und digitale Berufe

Eine Person steht auf einer grünen Wiese und macht sich Notizen auf einem Tablet

© iStock / Sakorn Sukkasemsakorn

Welche Berufe gestalten die Twin Transition (auch: Twin Transformation) mit? In welchen Branchen sind sie zu finden? In der Schnittmenge von digitaler und grüner Transformation finden sich Berufe, die sowohl grün als auch digital sind bzw. grüner und auch digitaler in ihren Anforderungs- und Kompetenzprofilen werden.

Wir stellen einige Praxisbeispiele, Querschnittsbereiche und wichtige Berufe des doppelten Wandels vor.

Aus der Praxis 1: Wie Gebäudeautomation für Energieeffizienz sorgt

Smart Home: Ein Mann überprüft die Raumtemperatur auf einem Tablet in seiner Wohnung

© iStock / mixetto

In *Smart Buildings treffen natürliche Baumaterialien auf Sensortechnik, erneuerbare Energiesysteme auf intelligente Steuerung, Wohnkomfort auf Sicherheit. Die Gebäudeautomation hat zum Ziel, durch Überwachung und Steuerung von Heizung, Beleuchtung, Beschattung und Belüftung etc. Energie und damit Kosten zu sparen – und als Plus für hohen Komfort zu sorgen. Bereits beim Entwurf von Gebäuden durch ArchitektInnen wird die Versorgungstechnik mitberücksichtigt, die Installation der Anlagen und Geräte übernehmen dann Elektro- und GebäudetechnikerInnen.

Beruf im Fokus: GebäudetechnikerIn für Smart Building

GebäudetechnikerInnen für Smart Buildings sind auf moderne, intelligente Technologien für Gebäude spezialisiert. Sie planen, implementieren und warten Smart-Building-Technologien – von der Beleuchtung über das Energiemanagement bis zur Zugangskontrolle.

Aus der Praxis 2: Wie grüner Strom smart fließt

Kleine Windkraftanlage auf einer grünen Wiese

© AMS / Chloe Potter

Handelt es sich bei dem oben erwähnten Smart Building um ein Plusenergiehaus, also ein Haus, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht, wird der überschüssige Strom in das öffentliche Netz (oder den Batteriespeicher) eingespeist. Sogenannte *Prosumer, die zunehmende Zahl der dezentralen StromerzeugerInnen, Schwankungen in der Erzeugung – etwa durch Sonne und Wind – sowie neue Speichertechnologien machen eine bessere Koordination von Stromangebot und -nachfrage erforderlich: *Smart Grids, intelligente Stromnetze, sorgen für Stabilität, *Smart Meter übertragen die Daten zum Verbrauch.

Beruf im Fokus: EnergietechnikerIn für erneuerbare Energien

EnergietechnikerInnen für erneuerbare Energien sind auf die Gewinnung und Nutzung erneuerbarer Energien spezialisiert. Sie können von der Planung bis zur Installation, beratend oder forschend tätig sein – und beschäftigen sich natürlich auch mit den aktuellen Herausforderungen zu Verteilung und Speicherung. Der Ausbildungsweg kann zum Beispiel schulisch oder akademisch erfolgen.

Aus der Praxis 3: Wie Lieferketten nachhaltiger und transparenter werden

Eine junge Frau überprüft die Lieferung im Lager, sie steht vor gestapelten Kartons

© AMS / DoRo Filmproduktion

Große Unternehmen sind zukünftig stärker in der Pflicht, wenn es um Umweltschutz und Menschenrechte (z.B. Arbeitsbedingungen, Schutz vor Kinderarbeit) geht. Das sogenannte EU-Lieferkettengesetz sieht vor, dass Unternehmen (ab 1.000 Mitarbeitenden, mind. 450 Mio. Euro Umsatz) Menschenrechts- und Umweltrisiken in ihren *Lieferketten ermitteln, Maßnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu vermeiden und über ihr Lieferkettenmanagement Bericht erstatten. Schlüssel dafür sind digitale Technologien, die relevante Daten erheben, analysieren, auswerten und transparent machen. Dies stellt neue Anforderungen an Supply Chain ManagerInnen, die für die Lieferkette verantwortlich sind.

Beruf im Fokus: NachhaltigkeitsmanagerIn

Auch NachhaltigkeitsmanagerInnen haben die gesamte Lieferkette im Blick. Sie sorgen dafür, dass Unternehmen Umweltschutz ernst nehmen, soziale Verantwortung übernehmen und erstellen Nachhaltigkeitsberichte. Sie entwickeln außerdem Nachhaltigkeitsstrategien, suchen nach Möglichkeiten, den ökologischen Fußabdruck eines Unternehmens zu verringern, setzen gesundheitsfördernde Maßnahmen und engagieren sich für soziale Gerechtigkeit.

Aus der Praxis 4: Wie Future Farming digitale Technologien und Nachhaltigkeit kombiniert

Ein Bauer stellt die Route auf dem Bildschirm seines Traktors ein

© AMS / Chloe Potter

Der Klimawandel und im Besonderen Extremwetterereignisse stellen die Landwirtschaft vor große Herausforderungen: Ertragsausfälle durch Dauerregen oder Hitze sind die Folge, Vegetationsperioden verlängern sich, Anbaugebiete verschieben sich, neue Pflanzenschädlinge treten auf. LandwirtInnen setzen zunehmend auf digitale Technologien, u.a. um Wetterdaten auszuwerten, Böden zu analysieren, den Pflanzenschutz zu verbessern, Felder effizient zu bewirtschaften oder Wasser intelligent zu verteilen.

Beruf im Fokus: LandwirtIn für Digital Farming

Neben der Minimierung von Umweltrisiken sind Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, Effizienz- und Ertragssteigerung Ziele beim Einsatz von digitalen Technologien und Tools in der Landwirtschaft. LandwirtInnen für Digital Farming setzen u.a. GPS-gesteuerte Landmaschinen ein, die optimierte Routen fahren und weniger Treibstoff benötigen. Sensoren können wiederum den Wasser- und Nährstoffbedarf genau ermitteln, sodass es zu einem ressourcenschonenden Einsatz kommt. So finden Nachhaltigkeit und technische Präzision zusammen.

Querschnittsbereiche: Maschinenbau, digitale Umwelttechnik und Green IT

Green IT: ein kleines Pflänzchen wächst aus der Erde, die sich auf einer Leiterplatte befindet

© iStock / weerapatkiatdumrong

Der doppelte Vorteil von Ressourcenschonung und Kostenreduzierung kann auch mit der proaktiven Wartung erreicht werden, die u.a. im Querschnittsbereich Maschinenbau und auf Berufsebene z.B. für ServicetechnikerInnen im Maschinen- und Anlagenbau eine wichtige Rolle spielt. Sensoren sammeln Daten, die *KI-basiert ausgewertet werden, um mögliche Maschinenfehler vorherzusagen. Da die Ausfälle von Maschinen und Anlagen einen hohen Kostenfaktor darstellen, können smarte Wartungsstrategien zum effizienten Betrieb und damit zum effizienten Ressourceneinsatz und zu CO2-Einsaprungen beitragen.

Der Maschinenbau ist deshalb ein Querschnittsbereich, weil er große Schnittmengen zu allen Umwelttechnologiebereichen von der Abfallwirtschaft und dem Recycling über die Abwasserreinigung und die Luftreinhaltung, die Energietechnik bis hin zur Gebäudetechnik hat. Die Umwelttechnologie selbst wird digitaler. Wichtige digital Green-Tech-Themen sind u.a. im Bereich Daten die Sammlung mittels Sensorik, die Datenauswertung, *digitale Zwillinge, im Bereich Automatisierung *KI und Robotik und im Gebiet Vernetzung *IoT – Internet of Things. Die voranschreitende Digitalisierung und die Weiterentwicklung der grünen Technologien insgesamt sorgen dafür, die sich die Anforderungs- und Kompetenzprofile von Berufen wie z.B. UmwelttechnikerIn oder RecyclingtechnikerIn ebenfalls kontinuierlich wandeln, was auch ein hohes Maß an Weiterbildungsbereitschaft erfordert.

Während sich die Umwelttechnologie digitalisiert, wird die IT, ein weiterer Querschnittsbereich, grüner. Green IT umfasst z.B. Bestrebungen wie die Reduzierung des Energieverbrauchs bei der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Insbesondere Rechenzentren und Server sind große Stromverbraucher, aber auch Geräte und Anwendungen. Cloud Engineers können beispielsweise einen Beitrag zur Energieeinsparung durch *Cloud Computing leisten. Außerdem geht es um Aspekte wie die nachhaltige Herstellung, *Refurbishing und Recycling oder auch die CO2-Einsparung durch Videocalls statt Dienstreisen per Auto oder Flugzeug. Eine nachhaltige IT-Infrastruktur in Unternehmen zu etablieren, ist ein zunehmend wichtiges Thema für IT-Consultants.

Informationstechnologien und digitale Technologien sind immense Strom- und Ressourcenverbraucher. Sie sind also Mitverursacher von Emissionen und Hebel zur Lösung der Klimakrise gleichermaßen. Übergeordnete Ziele wie CO2-Einsparungen und Energieeffizienz und die Stärkung der Kreislaufwirtschaft geben den Rahmen zur Weiterentwicklung von digitalen Technologien vor. Strom aus erneuerbaren Energien, reparierbare Produkte, auf Verleih von Geräten basierende Geschäftsmodelle, Effizienzsteigerungen bei Komponenten sind hier konkrete Lösungsansätze für die digitalen Technologien.

Nicht zuletzt erfordert die Twin Transition finanzielle Mittel für Investitionen in neue Technologien, politisch begleitet von regulatorischen Rahmenbedingungen und Infrastrukturentwicklung, unternehmensseitig von Innovationskultur und Weiterbildungsangeboten für die Arbeitskräfte.

Glossar: Wichtige Begriffe einfach erklärt

*Cloud Computing: internetbasierte Bereitstellung von Diensten wie z.B. Datenspeicher oder Applikationen (Software)

*Dekarbonisierung: Entkarbonisierung, Reduzierung der CO2-Emissionen durch den Einsatz von kohlestoffarmen bzw. erneuerbaren Energieträgern

*digitaler Zwilling: digitale Abbildungen von z.B. Maschinen oder Fahrzeugen, die deren Optimierung, Simulationen etc. ermöglicht

*eingebettetes System: embedded system, Computersystem, das in technische Geräte oder Maschinen wie z.B. Waschmaschine oder Auto integriert ist

*IoT – Internet of Things: bezeichnet die Vernetzung und den Datenaustausch zwischen Geräten, Maschinen und Komponenten (z.B. Sensoren)

*KI: Künstliche Intelligenz, die Fähigkeit einer Maschine, logisches Denken und menschliches Lernen zu imitieren, Antworten zu finden und Probleme zu lösen

*klimaneutral: das Klima wird durch menschliche Aktivitäten in Summe nicht beeinflusst, entweder werden keine Emissionen freigesetzt oder diese werden kompensiert (z.B. durch Klimaschutzprojekte)

*Lieferkette: supply chain, umfasst alle Ressourcen, Schritte, Prozesse, Transportwege etc., die für die Herstellung eines bestimmten Produktes benötigt werden

*Prosumer: Zusammensetzung aus producer (ProduzentIn) und consumer (KonsumentIn)

*Refurbishing: Überholung, Instandsetzung, z.B. von Geräten wie Smartphones, Fahrzeugen

*Smart Building: intelligentes Gebäude, umfasst die Digitalisierung eines gesamten Gebäudes, z.B. die automatische Steuerung und die Vernetzung von Geräten, mit den Zielen Energieeffizienz, CO2-Einsparung, Komfort und Sicherheit

*Smart Grid: intelligentes Stromnetz, das StromerzeugerInnen, VerbraucherInnen, Speicher und Netzkomponenten durch ein Kommunikationsnetz verbindet, um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten

*Smart Meter: intelligenter Stromzähler, der den Stromverbrauch in Echtzeit erfasst und die Daten an Energieversorgungsunternehmen übermittelt

*synergetisch: zusammenwirkend

 Quellen :

Bock-Schappelwein, Julia; Egger, Andrea (2023): Arbeitsmarkt und Beruf 2030. Rückschlüsse für Österreich. Online: https://www.ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/AMS_report_173_-_Arbeitsmarkt_und_Beruf_2030.pdf (2024-06-26)

Fraunhofer/EY (2023): Digital und nachhaltig die Zukunft sichern. Wie Unternehmen die Twin Transformation als Vorreiter meistern können. Online: https://www.ey.com/de_de/consulting/warum-technologie-und-nachhaltigkeit-zusammen-gehoeren (2024-06-26)

Fraunhofer BAU (2024): Smart Building. Online: https://www.bau.fraunhofer.de/de/forschungsbereiche/Gebaeudeautomation.html (2024-06-26)

Fraunhofer IESE (2024): Digital Farming/Smart Farming. Online: https://www.iese.fraunhofer.de/de/trend/digital-farming.html (2024-06-26)

Koundouri, P. et al. (2023): Twin Skills for the Twin Transition: Defining Green & Digital Skills and Jobs. AE4RIA, ATHENA Research Centre, Sustainable Development Unit. Online: https://www-file.huawei.com/-/media/corp2020/media-center/pdf/white-paper-eu-digital-skills-gap-2023-2.pdf?la=en (2024-06-26)

Smart Grids Austria (2024): Was sind Smart Grids? Online: https://www.smartgrids.at/smart-grids.html (2024-06-26)

Umweltbundesamt (2021): Digitalisierung in der Umwelttechnik. Online: https://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/publikationen/dp159.pdf (2024-06-26)
  

Suche
AMS
Suchportal